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AutorenbildDejan Kosmatin

Boxen ist persönliches Change Management

Aktualisiert: 20. Mai 2023

Boxen ist für viele einfach nur ein grober Kampfsport und eher im schlechten Millieu zu verorten. Für mich ist Boxen mehr als nur eine olympische Disziplin und Kampfkunst - dieser klassische Sport "Der Faustkampf ", gab mir eine lebenslange Lektion und hat mein Leben verändert. Ein Beitrag über psychische und physische Grenzen, mentale Limitierungen, persönliche Weiterentwicklung und zwischenmenschliche Werte.


Der einzige Feind bist du: Die physikalischen Prinzipien & die Feinstofflichkeit

Es geht um Haltung: Die Einstellung zu sich selbst und das Leben

Projekt "Zukunftsoffensive": Der Schlüssel zu einer sozialen & gerechten Gesellschaft

 

Der einzige Feind bist du


Boxen verlangt einem viel ab. Nicht nur ein hohes physisches Trainingspensum und viel Disziplin. Es geht bei dieser Sportart vielmehr um die innere Einstellung zu sich selbst, zur Außenwelt und der Zeit im Ring. Nach ein paar Runden ist alles entschieden. Im Amateurboxen waren es damals dreimal drei und heute viermal vier Minuten.



Über Sieg und Niederlage entscheidet das Wechsel- und Zusammenspiel aus Aggression, Gelassenheit, Konzentration, Atmung, Koordination und die An- und Entspannung im richtigen Moment. Wie bei den newtonschen Axiomen geht es um Masse und Beschleunigungswirkung. Die Beharrung bzw. Statik sind unbrauchbar im Ring, denn wie bei einer physikalischen Wechselwirkung gibt es im Boxen keinen passiven Partner. Du musst in Bewegung bleiben und deine Kraft gekonnt einsetzen. Jeder Kraftstoß ist mit einer Impulsänderung verbunden. Es gilt das Gesetz "lex tertia", dem Wechsel- bzw. Gegenwirkungsprinzip und der einzige Feind im Ring bist du. Es ist mehr ein Kampf mit sich selbst und gegen die eigenen Kräfte bzw. Stärken und Schwächen.

„Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (Aktion), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (Raktion).“ Drittes newtonsche Gesetz.

Die Strategie um das Prinzip von Aktion & Reaktion


Wie beim Reaktionsprinzip gilt beim Boxen "Aktion gleich Reaktion" (lat. actio est reactio). Es kommt also auf die physikalischen Prinzipien der Maße und Beschleunigung an. Doch auch wenn die Feinstofflichkeit als hypothetische Form von Materie nie nachgewiesen wurde, kennt sie jeder Kampfsportler. Es gibt sie und es sind vielmehr diese weichen Faktoren die das Match entscheiden. Nur wenn du dein Gegenüber lesen kannst, weißt du wann der richtige Zeitpunkt ist in den Angriff zu gehen.


Diese Komplexität des Boxsports ist gewaltig - und der Laie sieht nur zwei Opponenten die auf sich einschlagen.

Ein guter Wettkämpfer ist achstsam mit einer offenen und feinen Wahrnehmung. Seine Sinne sind geschärft und er beherrscht seine Gefühle. Er weiß wann er seinen Körper in welcher Situation anspannen und wann entspannen muss. Er reagiert auf kleinste Fehler des Gegenüber und geht nie in den bloßen Angriff ohne einen Rückzug im Verteidigungsschritt zu planen.


Er weiß wo und wie er stehen muss um eine Schlagkombination so einzusetzen, dass die maximale Schlagkraft zum Einsatz kommt. Dazu beobachtet er seinen Gegner ganz genau und bleibt dabei immer in Bewegung.


Wenn die Strategie in einer Runde nicht aufgeht, wird sie spätestens in der nächsten Runde angepasst. Den Gegener durch Stellungswechsel aus dem Konzept bringen, mit der ansatzlosen Geraden überraschen, Doubletten einbauen, mehr in den Infight gehen etc. Es gibt zahlreiche Ansätze und Kombinationen. Am wichtigsten dabei sind die Atmung bei größtmöglicher Belastung im Schlagabtausch und die Hand-Auge-Koordination mit Beinarbeit.


Einzelkämpfer mit Team


Es ist ein Leistungssport mit Stop-Start-Dynamik, der eine gesunde Psychosomatik verlangt. Hier wird das kurzzeitig wirkende anaerobe System extrem beansprucht, bei dem durch die intensive Ausdauerbelastung viel Laktat angehäuft wird - vor allem, wenn Energie mangels Sauerstoff aus Kohlenhydraten gewonnen wird. Für die Leistungsförderung kommt es deshalb neben Kraft, auf den Muskeltonus mit schnellen Muskelfasern, den Energieverbrauch und Sauerstoffaufnahme an. Es wird Eins gegen Eins gekäpft und obwohl es ein Einzelsport ist, kommt es auf das Team von unterschiedlichen Coaches und Trainer an, die mit dem Athleten in der Vorbereitungsphase auf den Kampf hinarbeiten.


Trainiert wird deshalb die mentale Stärke und körperlicher Fitness, die muskuläre Schnelligkeit und Schnellkraft, die Koordination und Balance und sehr viel Kondition über Fartlek bzw. Fahrtenspiel. Das einzige was im Wettkampf dann im Weg steht ist der Mensch selbst - jede Runde ist entscheidend und in jeder Runde muss der Kämpfer oder die Kämpferin alles abrufen.


Es geht um Haltung


Doch bei aller körperlichen Fitness und mentaler Gesundheit, bei diesem Sport geht es vornehmlich um Haltung; und das vor, während und nach dem Kampf. Es geht darum was du isst und wie du schläfst. Darüber wie du über dich selbst denkst und über deinen Kontrahenten und über das Leben im Allgemeinen, mit all seinen ungeschriebenen Gesetzen, Naturgesetzen und moralischen Werten: Es geht um Respekt und Fairness, und die körperlichen und mentalen Grenzen im Wettstreit und der Auseinandersetzung mit sich selbst. Tag ein, Tag aus von morgens bis abends, nachts, immer - 365 Tage im Jahr mit wenigen Ausnahmen (Cheating Days).


Das erfordert mehr mentale Stärke und Disziplin als körperliche Gewalt. Der Körper muss "nur" fit bleiben um im Ring durchzustehen. Der Kampf wird am Ende doch mental, technisch und konditionell entschieden und nicht mit bloßer Kraft - auch wenn diese durchaus entscheidend ist. Hoffen auf den "lucky punch" ist jedoch keine gute Strategie.

Um zu gewinnen, kommt es nicht nur auf diese acht bzw. neun Minuten an - Boxen ist eine Lebenseinstellung. Wer nicht lernt seine Gedanken und Gefühle zu kontrollieren, hat schon im Vorfeld verloren.

Projekt "Zukunftsoffensive"


In einem Förderprojekt des Innenministeriums ("Zukunftsoffensive - Junge Generation"), hatte ich die Gelegenheit als Übungsleiter, Mentor und Betreuer, ehrenamtlich in der Kinder- und Jungendkriminalitätsprävention tätig sein. Ich wollte der Gesellschaft durch die soziale Arbeit etwas zurückgeben.

Ziel war es, gefährdete und aus prekären Verhältnissen stammende Kinder und Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren. Zum Training kamen neben ein paar Erwachsenen, hauptsächlich jugendliche Heranwachsende. Alles Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Religion, Nationalität und einem gemeinsamen Nenner: das Gefühl verloren zu sein und weniger wert zu sein als der Rest da draußen.


Wir sprechen von jungen Leuten in Deutschland - eines der reichsten Länder der Welt - die keine Perspektive sehen und voller Wut und Verzweiflung sind.

Stärken & Schwächen


Das kleine Box-Gym, in einer ehemaligen Näherei, war immer voll aus einem kulturellen Gemisch, gepaart mit Testosteron, Adrenalin und Cortisol. Genau hier lernst du den Menschen kennen. Junge kräftige Menschen die mit dem Rücken zur Wand stehen, sich ungerecht behandelt und von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Die bereit sind zu kämpfen und doch kurz davor sind aufzugeben. Nicht nur den Glauben an sich selbst – auch ihr ganzes Leben. Darunter waren Straffällige, verbüßte Straftäter, Drogen- und Alkoholabhängige. Doch am meisten emotional verwarloste und missbrauchte Menschen, junge Männer wie Frauen.



Ich führte sie in das vielfälltige Boxtraining ein und wir trainierten neben sehr viel Kondition, ihre Koordination und übten Kombinationen mit der technischen Ausführung von Angriff und Verteidigung - klassisches olympisches Boxen. Wichtig war mir dabei, diesen Menschen beizubringen sich an ihre physischen und psychischen Belastungsgrenzen heranzutasten, damit sie lernen wie weit sie gehen können und sollten.


Durch das Erfahren der eigenen Stärken und Schwächen erkennen sie, was Selbstverletzung und Selbstliebe bedeutet. Sie erlernen dadurch bestenfalls sich selbst zu schützen und wann sie die Grenzen nicht überschreiten dürfen. Nicht nur im sportlichen Kontext und Wettbewerb ist es von Vorteil sich der eigenen Schwächen und Stärken bewusst zu sein und zu wissen wie diese auszugleichen sind. Grenzen sind in erster Linie Limitierungen, die auf Glaubenssätze basieren, genauso wie Selbstüberschätzung und Übermut. Die Balance ist wichtig, für positiven Ehrgeiz und ein Leben ohne destruktive Überforderung.


Um seine Grenzen ausreizen zu können, muss der Mensch sich erst selbst ergründen. Wenn er sich selbst bewusst ist wer er ist und was er kann, kann an an der Selbssicherheit gearbeitet werden. Dann erstickt er nicht in den eigenen Unzulänglichkeiten und Selbstzweifel, sondern erlangt Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das Erlangen von Selbsvertrauen ist die letzte Stufe vor der Endstufe, der Selbstverwirklichung. Dafür braucht der Mensch auch Vertrauen von außen.


Anerkennung & Wertschätzung


In erster Linie hörte ich also zu und bot ihnen einen Rahmen, ihre Emotionen freien Lauf zu lassen und abzubauen. Sowohl im Training als auch in Sparringskämpfen im Ring, kommt es auf Regeln und Respekt an. Im gerechten Wettstreit lernten sie sich zu messen und Anerkennung durch physische und psychische Leistung zu erhalten. Dabei wurden versteckte Aggressivität und Vorurteile untereinander abgebaut und Selbstbewusstsein aufgebaut. Ich durfte von Woche zu Woche ein Veränderung bei diesen Menschen miterleben und ihre positive Energie spüren. Diese Erfahrung erfüllt mich heute noch mit Dankbarkeit und Demut.


Boxen fördert die Achtsamkeit, die Wahrnehmung und den Respekt gegenüber sich selbst und der Umwelt mit seinen Mitmenschen. Ein wachsendes Selbstvertrauen fördert die persönliche Weiterentwicklung und stärkt die persönliche Anerkennung und Wertschätzung. Dieser Sport kann nicht alle ändern, aber mit Sicherheit verändern und über schwere Zeiten hinweghelfen. Meins hat es veränder. Immer wieder - von Beginn an in jungen Jahren als ich damit anfing, in schlechten Jahren meiner Jugend bis hin zu Krisenzeiten als erwachsener Mann.


Das Projekt "Zukunftsoffensive" durfte ich zwei Jahre nach meinem Studium begleiten. Da war ich schon Vater von zwei Töchtern, Wenn ich gefragt werde, auf welches Projekt ich am meisten stolz bin, ist es das!

Für mich ist der faire und respektvolle Umgang unter Beachtung von Regeln und Fairness der Schlüssel zu einer sozialen und gerechten Gesellschaft. Ich konnte im Rahmen des Projekts "Zukunftsoffensive" Toleranz, gesellschaftliche und zwischenmenschliche Werte sowie Zivilcourage – als wichtige Säulen eines Wertesystems - vermitteln und einigen Menschen zu einer neuen Zukunft verhelfen. Das Projekt wurde jahrelang vom Bundesministerium gefördert.

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